Jan Ullrich - Der Bannbrecher

Es gibt einige große deutsche Radsportler, genauso wie es einige wichtige und schwere Radrennen gibt. Doch wie in vielen anderen Sportarten verhält es sich auch im Radsport so, dass ein bestimmtes Ereignis einfach das allergrößte in der jeweiligen Sportart ist. Was im Tennis Wimbledon, was im Fußball oder der Formel-1 der WM-Titel, was im Skispringen die 4-Schanzen-Tournee oder im alpinen Skisport die Abfahrt in Kitzbühel ist, das ist im Radsport zweifelsfrei die Tour de France. Jan Ullrich war 1997 der erste Deutsche, der die dreiwöchige Strapaze in Frankreich als Schnellster bewältigte. Die Tour werden nach ihm vielleicht noch andere Deutsche gewinnen. Doch Ullrich wird immer der erste sein, der Mann, der den Bann gebrochen hat.

Der Anfang
Wenn es darum geht herauszufinden, wie Jan Ullrich zum Radsport gekommen ist, stößt man immer wieder auf folgende Geschichte: Der neunjährige Jan, geboren im Dezember 1973, ging mit seinem Bruder zu einem Radrennen, nahm einfach mal mit Turnschuhen und einem geliehenen Rad an dem Wettbewerb teil und begeisterte sich und seine Betrachter. Damit war Ullrichs Weg in die Zukunft abgesteckt. Was blieb ihm jetzt anderes übrig, als der SG Dynamo Rostock beizutreten, wo Peter Saager sein erster Trainer und Förderer war.
Viele Jahre dauerte es dann nicht, bis Jan 1987 zum SC Dynamo nach Berlin geschickt wurde. Es war der typische Weg, den ein Sportler im perfekt organisierten Sportsystem der DDR ging, wenn er über das entsprechende Potenzial verfügte. Jan Ullrich hatte Talent, und zwar eine ganze Menge.
In Berlin, abgetrennt von der Rostocker Heimat, kümmerte sich Trainer Peter Becker um Jan Ullrich. Als wichtigste Titel konnte Jan in dieser Zeit die DDR-Schülermeisterschaften mit dem Bahnvierer, die DDR-Jugendmeisterschaften auf der Straße und im Punktefahren und - bereits nach der Wende - die deutschen Juniorenmeisterschaften verbuchen.
1992 hielt es Peter Becker für angebracht, mit Ullrich in den Westen zur RG Hamburg zu wechseln. Die «Ehe» zwischen Becker und Ullrich hält bis in die Gegenwart.

Oslo 1993
Im August 1993 nahm Jan Ullrich im Alter von 19 Jahren an der Amateur-WM auf der Straße teil. Einen Tag, bevor der junge US-Amerikaner Lance Armstrong Weltmeister bei den Profis wurde, schaffte Ullrich mindestens genauso überraschend das Unglaubliche: Aus einer kleinen Gruppe heraus wurde er im Sprint Amateur-Weltmeister. Wer es damals gesehen hat, wird noch die Bilder vor Augen haben. Ein bisher unbekannter Teenager gewinnt, begleitet vom Kommentar des Klaus Angermann, das wichtigste Radrennen der Amateure.
Viele Rennfahrer nutzen einen solchen Triumph zum sofortigen Sprung in ein Profi-Team. Nicht Jan Ullrich. Trainer Becker wollte, dass Ullrich ein weiteres Jahr im Amateur-Lager fährt, um im Regenbogentrikot zu erfahren, wie man als Favorit in einem Rennen besteht.
1995 schließlich wechselte das größte Talent des deutschen Radsports zu den Profis ins Team Deutsche Telekom. Das einzige, was dabei herauskam, war ein Sieg bei den Deutschen Zeitfahr-Meisterschaften. Ansonsten musste Ullrich Lehrgeld zahlen. Ein verlorenes Jahr war es dennoch nicht. Jan wusste jetzt schon, wie es ist, wenn es mal nicht wie geschmiert läuft. In den nächsten beiden Jahren sollte jedenfalls der kometenhafte Aufstieg des gebürtigen Rostockers folgen.

Von Null auf Hundert: Erste Tour - Zweiter Platz
1996 durfte Jan Ullrich das erste Mal bei der Tour de France zeigen, was in ihm steckt. Der Däne Bjarne Riis hatte den Weg zu Telekom gefunden, wollte die Serie des Miguel Indurain beenden und die Frankreich-Rundfahrt gewinnen. Dass ihm bei diesem Vorhaben ausgerechnet ein Team-Kollege in die Quere kommen könnte, hatte Riis wohl kaum gedacht. Ullrich präsentierte sich unheimlich stark in den Bergen. Als Helfer der beiden Team-Kapitäne Zabel und vor allem Riis war der 22-jährige omnipräsent. Ullrich krönte seine erste große Schleife mit einem Sieg auf der vorletzten Etappe beim einzigen langen Zeitfahren der Tour 1996. Nur eine Minute und 41 Sekunden schrammte er am epochalen Sieg vorbei. Den holte sich verdient mit zwei Etappensiegen Bjarne Riis für Dänemark. Rein spekulativ wäre eine Antwort auf die Frage, ob es am Ende für Ullrich gereicht hätte, wenn er nicht treu ergeben für Riis gearbeitet hätte.
Im Grunde hätte es aber kein Dramaturg besser hinbekommen: Mit Ullrichs phänomenalen zweiten Platz und der Stärke der deutschen Telekom-Mannschaft mit dem Tour-Sieger Riis wurde der Radsport-Boom in Deutschland eingeläutet, so dass 1997 noch weit mehr deutsche Zuschauer am Fernsehgerät mitfieberten und Jan Ullrichs Coup bei der 84. Tour de France erlebten.

Der Triumph 1997
Es wurden schon vor der «grande boucle» 1997 die Rufe laut, Ullrich sollte Riis als Kapitän bei Telekom ablösen - erst recht, als Riis auf einer Flachetappe nach einem Sturz über eine Minute verlor. Doch der gebürtige Rostocker sicherte seinem dänischen Chef weiterhin seine Unterstützung zu.
Nachdem Jan auf der ersten Bergetappe in den Pyrenäen schon als «Aufpasser» am Hinterrad Virenques und Pantanis geblieben war und somit schneller als Riis im Zielort Loudenvielle ankam, folgte tags darauf die inzwischen legendäre Gänsehaut-Etappe nach Andorra-Arcalis. Riis spürte, dass sein deutscher Helfer an der Schlusssteigung noch eindeutig mehr zu bieten hatte als er selbst und rief ihm zu: «Dreh Dich nicht mehr um, fahr!». Das ließ sich Jan nicht zweimal sagen und zeigte seiner Konkurrenz nur noch das Hinterrad, so dass neben dem Etappensieg auch das Gelbe Trikot des Gesamtführenden heraussprang.
Drei Tage nach Arcalis düpierte Ullrich die anderen endgültig. Beim hügeligen Einzelzeitfahren rund um Saint-Etienne gewann er mit über drei Minuten Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Richard Virenque, der sich in den folgenden Tagen vergeblich mühte, Ullrich im Gesamtklassement noch abzufangen. Das gelang dem Franzosen weder in den Alpen, wo Ullrich an seinen Fersen klebte und ihm großzügig den Etappensieg von Courchevel überließ («Ich bin kein Kannibale!»), noch in den Vogesen, wo Teamkollege Udo Bölts dem erkälteten Jan mit einem freundlichen «Quäl Dich, Du Sau!» über die Berge trieb.
In Paris durfte am Ende der erste Tour-Triumph eines Deutschen bejubelt werden und gerade einmal der zweite Podestplatz nach Kurt Stöpel 1932. Der 23-jährige Jan Ullrich, mittlerweile wohnhaft im Schwarzwald, hatte Radsport-Geschichte geschrieben und eine große Karriere vor sich.
Über neun Minuten Vorsprung - was für eine Überlegenheit! Irgendwann kommen auch noch: «Der Hungerast», «Einrollen für die WM», »Jan Ullrich ... Olympiasieg!!!» etc. (Geduld! Für den Meister bzw. das Köingsopfer in der Operacion Puerto brauche ich eben ein bisschen mehr Zeit...)

Die wichtigsten Siege und Ullrichs Teams:

1995 - Team Deutsche Telekom
Deutscher Meister (Einzelzeitfahren)

1996 - Team Deutsche Telekom
20. Etappe Tour de France (Saint-Emilion/EZF)
Regio-Tour, Gesamtsieg

1997 - Team Deutsche Telekom
Deutscher Meister (Straße)
10. Etappe Tour de France (Andorra-Arcalis)
12. Etappe Tour de France (Saint-Etienne/EZF)
Tour de France, Gesamtsieg
HEW-Cyclassics

1998 - Team Deutsche Telekom
7. Etappe Tour de France (Corrèze/EZF)
16. Etappe Tour de France (Albertville)
20. Etappe Tour de France (Le Creusot/EZF)

1999 - Team Deutsche Telekom
5. Etappe Vuelta Ciclista España (Ciudad Rodrigo)
20. Etappe Vuelta Ciclista España (Avila/EZF)
Vuelta Ciclista España, Gesamtsieg
Zeitfahrweltmeister in Treviso

2000 - Team Deutsche Telekom
Olympiasieger (Straße) in Sydney

2001 - Team Deutsche Telekom
Deutscher Meister (Straße)
Giro dell'Emilia
Zeitfahrweltmeister in Lissabon

2002 - Team Deutsche Telekom

2003 - Team Coast & Team Bianchi
Rund um Köln
12. Etappe Tour de France (Cap' Découverte/EZF)

2004 - T-Mobile Team
1. Etappe Tour de Suisse (Beromünster)
9. Etappe Tour de Suisse (Lugano/EZF)
Tour de Suisse, Gesamtsieg
Coppa Sabatini

2005 - T-Mobile Team
2. Etappe Tour de Suisse (Weinfelden/EZF)
8. Etappe Deutschland-Tour (Weinheim/EZF)

2006 - T-Mobile Team
11. Etappe Giro d'Italia (Pontedera/EZF)
9. Etappe Tour de Suisse (Bern/EZF)
Tour de Suisse, Gesamtsieg

 

Ullrich bei der Tour de France:
1996    2. für Team Deutsche Telekom
           Sieger 20. Etappe (Saint-Emilion/EZF)
           Bester Jungprofi
1997    1. für Team Deutsche Telekom
           Sieger 10. Etappe (Andorra-Arcalis)
           Sieger 12. Etappe (Saint-Etienne/EZF)
           Gesamtsieger
           Bester Jungprofi
1998    2. für Team Deutsche Telekom
           Sieger 7. Etappe (Corrèze/EZF)
           Sieger 16. Etappe (Albertville)
           Sieger 20. Etappe (Le Creusot/EZF)
           Bester Jungprofi
           Träger Gelbes Trikot
2000    2. für Team Deutsche Telekom
2001    2. für Team Deutsche Telekom
2003    2. für Team Bianchi
           Sieger 12. Etappe (Cap' Découverte/EZF)
2004    4. für T-Mobile
2005    3. für T-Mobile

 

Ullrich-Seiten im www:
www.janullrich.de
www.tourgott.de

Jan Ullrich
* 02.12.1973 in Rostock

Stand: 25.02.2007

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